Vorstellung des Friedensgutachtens am 14. Juni 2007 von Bruno Schoch, HSFK
Friedensgutachten.de
Schwerpunkt: Bundeswehreinsätze auf dem Prüfstand
Das diesjährige Friedensgutachten warnt vor einem neuen – und gefährlicheren – Atomzeitalter. Sein Schwerpunkt thematisiert die sprunghaft gestiegenen Bundeswehreinsätze. Wir verlangen, sie gründlich zu evaluieren. Und wir schlagen Mindestkriterien für künftige Einsätze vor.
Außerdem wollen wir den transatlantisch verengten Blick öffnen: Die stupenden Zuwachsraten in der asiatisch-pazifischen Region bewirken eine tektonische Verschiebung der Weltordnung. China erhöht 2007 sein Verteidigungsbudget um fast 18 Prozent. Japan will seine Rüstungsbeschränkungen aufheben. Das amerikanisch-indische Abkommen, vom Kongress noch nicht verabschiedet, besiegelt Indiens Status als Nuklearmacht und könnte Spannungen mit dem fragil-stabilen Pakistan verschärfen. Das totalitäre Nordkorea hat mit seinen Atomtests Diskussionen in Südkorea und Japan über eigene Nuklearwaffen entfacht.
Gleichwohl liegt das Zentrum des neuen Wettrüstens nicht in Asien. Der Militärhaushalt der USA wächst unter Präsident Bush im Schnitt um 14 Prozent jährlich. Weltweit werden für Streitkräfte und Rüstungen mehr als eine Billion Dollar ausgegeben. Fast die Hälfte entfällt auf die USA, die NATO bestreitet gut 70 Prozent. Diese Zahlen haben etwas Obszönes.
Die Welt ist in ein neues und gefährlicheres Atomzeitalter eingetreten. Davor warnen jetzt selbst Henry Kissinger und George Shultz. Ihr dramatischer Appell ruft die Abrüstungsver2 pflichtung im Atomwaffensperrvertrag in Erinnerung. Aber wo finden sie Gehör? Unnachgiebig modernisieren die Kernwaffenmächte ihre Arsenale. Sie untergraben so das Nichtverbreitungsregime und stacheln Diktatoren an, sich vor erzwungenem Regimewechsel mittels Atomwaffen schützen zu wollen. Der Irakkrieg hat sie darin bestärkt.
Gegen diese Renuklearisierung muss die Bundesrepublik tun, was sie kann. Ein Signal wäre es, die hierzulande noch lagernden Kernwaffen abzuziehen. Das aus Moskau so schrill kritisierte Raketenabwehrprojekt ist kein bilaterales Thema Washingtons mit Prag und Warschau – es gehört in die NATO und in die EU. Auch die militärische Nutzung des Weltraums tangiert Europa, auf Kommunikationstechnologien im All angewiesen. Doch Verhandlungen über ein Verbot von Anti-Satellitenwaffen sind nicht in Sicht.
Viel war jetzt auf dem G-8-Gipfel von Afrika die Rede. Das Friedensgutachten konzentriert sich auf drei ausgewählte Konfliktherde: Kongo, Sudan und das Horn von Afrika. Die Bundeswehr war 2006 daran beteiligt, freie Wahlen im Kongo zu überwachen. Sie hatte Gewalt in Kinshasa zu verhindern. Gemessen an diesem Mandat war der Einsatz erfolgreich. Ob er viel zur dauerhaften Befriedung des Kongo geleistet hat, ist fraglich.
Den schleichenden Völkermord in Darfur zu beenden, ist dringend geboten. Enthüllungen der UNO im April belegten, dass die Regierung das mörderische Treiben der Dschandschawid stützt. Die halbherzige internationale Hilfe für Darfur desavouiert die Mahnung, nie wieder dürfe so etwas wie in Ruanda geschehen, zum Lippenbekenntnis.
Hoch bleibt die Gewaltdichte im Vorderen Orient. Im Nahostkonflikt sind die Ecksteine einer Regelung seit langem international anerkannt: Gründung eines unabhängigen Palästinenserstaates auf der Formel „Land für Frieden“, Rückzug Israels aus den 1967 eroberten Gebieten und Ende der Siedlungen, wechselseitige Anerkennung beider Staaten und ihrer Sicherheitsbedürfnisse. Doch fehlt es dazu in Israel an Mut und politischem Willen, während die Palästinenser vom Machtkampf blockiert sind. Es käme darauf an, beide Seiten mittels Druck von außen dazu zu bringen, den Weg aus der Gewalt zu beschreiten. Die Abhängigkeit beider bietet einen Hebel für den nötigen Druck. Die EU wäre gut beraten, mit Hamas Gespräche wieder aufzunehmen, um deren Pragmatiker zu stärken und die durch den Boykott abgebrochene Unterstützung der Palästinensischen Autonomiebehörde fortzusetzen.
Zweifel, dass Iran entgegen allen Beteuerungen militärische Ziele verfolgt, gründen in früheren Vertragsverletzungen. Sanktionen und Drohungen brachten Teheran nicht dazu, die Urananreicherung auszusetzen. Deshalb sollte man mit Iran auch über Sicherheitsgarantien, Schritte zu einer nuklearwaffenfreien Zone und über eine Multilateralisierung seiner Urananreicherung sprechen. Nicht auszuschließen, dass auch ein derart erweiterter Verhandlungsprozess scheitert – aber bloß auf der bisherigen Position zu beharren und das Land weiter zu isolieren, wird die atomare Aufrüstung Irans eher befördern als verhindern. 3 Im Irak ist die Lage so verfahren, wie selbst die Baker-Hamilton-Kommission konstatiert, dass für eine externe Konfliktlösung kaum mehr Erfolgschancen bestehen. Weder ein Abzug noch eine Verstärkung der US-Truppen würde die Gewalt beenden. Dass Washington endlich bereit ist, Gespräche mit Teheran zu führen, zeugt von Einsicht, kommt indes mit Blick auf den Irak wohl zu spät.
Unser Schwerpunkt stellt die Bundeswehreinsätze auf den Prüfstand. Die militärische Zurückhaltung der alten Bundesrepublik ist passé, Deutschland gehört zu den größten Truppenstellern der UNO. Rund 8.000 deutsche Soldaten sind in Gegenden im Einsatz, wo sie sich noch vor wenigen Jahren niemand hätte vorstellen können. Jetzt wird die Bundeswehr zu einer „Armee im Einsatz“ umstrukturiert. Doch was ist darunter zu verstehen? Was diese Armee tun muss, soll und darf – und was nicht –, bleibt vielfach im Nebel. Der frühere Direktor der SWP weiß zu berichten: „Vor einiger Zeit rief mich ein deutscher Major aus Afghanistan an. ‚Wir sitzen hier mit tausend Mann in Mazar-e-Sharif’, sagte er, ‚und wissen eigentlich nicht so recht, warum wir hier sind. Können Sie nicht mal kommen und uns das erklären?’“ – Das trifft das Unbehagen über die seit 1994 sprunghaft zugenommenen Einsätze gut.
Die wachsende Zahl von Bundeswehreinsätzen zeugt davon, dass sich auch hierzulande der Irrglaube breit macht, Militär sei ein adäquates und abrufbereites Mittel weltweiter Krisenbewältigung. Die Entwicklung in Afghanistan belehrt eines Besseren. Sicherheit mag vordringlich sein für den Wiederaufbau, aber hearts and minds lassen sich mit Militär nicht gewinnen. Die Relationen stimmen nicht, wenn die Bundeswehr in Afghanistan in jedem Jahr 450 Millionen Euro kostet, während für den zivilen Aufbau inklusive Polizei 80 Millionen – ab 2007 erstmals 100 Millionen – ausgegeben wird.
Wir lehnen militärische Mittel nicht per se ab. Aber wir fordern eine gründliche Evaluierung der militärischen Missionen. Und wir fordern, dass klare Kriterien aufgestellt werden. Bisher leiden die Bundeswehreinsätze darunter, dass sie ad hoc und reaktiv entschieden und begründet werden. Weil die Entscheidungen einem Geflecht innen- und außenpolitischer Einflussfaktoren unterliegen, stimmen Gründe und Begründungen für Interventionen selten überein. Steht die Befriedung von Gewaltkonflikten in den betroffenen Gesellschaften im Zentrum, muss der Prüfstein die nachhaltige Transformation lokaler Gewaltkonflikte sein, besonders der Aufbau von Regeln und Institutionen friedlicher Konfliktbearbeitung. Daran ist die Implementierung militärischer und ziviler Maßnahmen laufend zu prüfen – und gegebenenfalls zu korrigieren.
Wir schlagen vor, an Militäreinsätze mindestens die folgenden Kriterien anzulegen:
Rechtmäßigkeit: Sie müssen mit der UN-Charta und dem Grundgesetz übereinstimmen;
Unterscheidung von friedenspolitischen und funktionalen Gründen: macht-, einfluss- und bündnispolitische Ziele dürfen nicht den Ausschlag geben;
Vorrang ziviler Alternativen: Sind alle nichtmilitärischen Alternativen ausgeschöpft oder erkennbar aussichtslos?
Politisches Gesamtkonzept, einschließlich einer Klärung der Erfolgsbedingungen im Zielland;
Evaluierung: Kein Auslandseinsatz ohne begleitende Evaluierung und nachträgliche Bilanzierung seiner Kosten und Nutzen.
Exit-Strategie: Wann und wie ist ein Einsatz zu beenden?
Wir begrüßen das Engagement von Bundespräsident und Bundesregierung für Afrika. Weil sich dort zahlreiche failed states und Gewaltkonflikte finden, ist mit weiteren Anfragen von UNO und EU zu rechnen, sich an Friedensmissionen zu beteiligen. Unsere Kriterien für die „Armee im Einsatz“ werden schon bald auf die Probe gestellt werden.
Wir haben das Friedensgutachten gestern im Bundestagsausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vorgestellt und dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschuss präsentiert. Nachher sind wir im Verteidigungsausschuss, dessen Vorsitzende es auch im Namen des Bundestagspräsidenten entgegennehmen wird.
Für die fünf beteiligten Institute möchte ich mich schließlich bei der Deutschen Stiftung Friedensforschung bedanken. Ihre Unterstützung hilft uns, das Friedensgutachten in Konzeption und Erscheinungsbild zu verbessern.