15 Januar 2005

Global und demokratisch

Prof. Otfried Höffe fordert eine Weltrepublik

Eine zentrale Herausforderung unserer Epoche, die Globalisierung, findet nicht nur in der Wirtschaft statt. Sie erstreckt sich auch auf Politik, Wissenschaft und Kultur und stellt die Staaten vor völlig neue Aufgaben.

Wie lassen sich globale Probleme wie etwa die Umweltverschmutzung, die Bekämpfung der organisierten, internationalen Kriminalität oder die Angleichung des Bildungswesens mit den Mitteln der Einzelstaaten bewältigen?

Prof. Otfried Höffe vom Philosophischen Seminar der Universität Tübingen und Leiter der Forschungsstelle für Politische Philosophie diagnostiziert in seinem neuen Buch "Demokratie im Zeitalter der Globalisierung" einen mehrdimensionalen globalen Handlungsbedarf, der nach einer neuen politischen Ordnung verlangt.
Klassische Mittel der Diplomatie, Staatenbündnisse wie die NATO oder Weltorganisationen wie die Vereinten Nationen konnten globale Aufgaben bisher nur stark eingeschränkt wahrnehmen.

Höffe fordert eine Reform dieser bestehenden Institutionen. Doch darüber hinaus sollte eine Weltrepublik sich jenen neuen Aufgaben der verschiedenen Dimensionen eines globalen Handlungsbedarfs widmen, die von den Einzelstaaten nicht zu lösen sind.

Diese Weltrepublik muss die Bedingungen einer freiheitlichen Demokratie erfüllen und folgt in ihrem Aufbau den Prinzipien der Subsidiarität und des Föderalismus. Die Einzelstaaten bleiben erhalten und werden durch die globale Rechts- und Staatsordnung lediglich ergänzt. Dennoch ist es notwendig, dass die Weltrepublik bindende Entscheidungsbefugnisse erhält.

Höffe fügt diesem Modell einen weiteren Gedankenkomplex hinzu: Zum Entwurf einer globalen Demokratie gehören auch Welt-Bürgertugenden wie Rechts-, Gerechtigkeits- und Gemeinsinn. Darüber hinaus zeichnet sich der künftige (Welt-)Bürger durch Zivilcourage, Toleranz und Besonnenheit in globalem Maßstab aus.
Die moralischen Werte, die schon heute über die Charta der Vereinten Nationen und über ihre Menschenrechtspakte eine globale Anerkennung gefunden haben, muss dem Philosophen zufolge weiter entwickelt werden.

Auch die Solidarität der gesamten Menschheit hält Höffe für ein moralisches Gebot. "Konkret könnte zum Beispiel eine globale Sozialversicherung für jene Aufgaben eingerichtet werden, bei denen die Menschheit eine Schicksalsgemeinschaft bildet. Und in jedem Fall brauchen die wirtschaftlichen Phänomene der Globalisierung als Kontrapunkt eine Zivil- beziehungsweise Bürgergesellschaft", erklärt er.

Der Philosoph entwickelt seine Gedanken in gründlicher Auseinandersetzung mit Untersuchungen des Völkerrechts, den Theorien der internationalen Politik, der Politischen Ökonomie und der Soziologie.
Die Schwächen bestehender internationaler Institutionen sind seinen Forschungen zufolge besonders auf das Fehlen einer zwangsbewehrten Ordnung zurückzuführen. Deshalb fordert er einen Weltbundesstaat mit einer verbindlichen Rechtsordnung. Dabei müssten nicht notwendigerweise vorhandene Institutionen abgeschafft werden. Zudem müssten sich die bestehenden Demokratien genau dort für eine Weltdemokratie öffnen, wo ihre eigenen Fähigkeiten zum Schutz von Recht und Gerechtigkeit versagen.

Mit dem globalen Demokratiemodell knüpft der Forscher an die Gedanken des Philosophen Immanuel Kant zu einer weltweiten Friedens- und Rechtsordnung an. Nach Kant ist es den Menschen geboten, ihr Zusammenleben rechts- und staatsförmig zu organisieren. Dieses Gebot werde erst dort umfassend erfüllt, wo man zusätzlich zu den uns vertrauten Gemeinwesen einen Völkerbund, eine Weltrepublik und ein Weltbürgerrecht einrichtet.

Höffe entwickelt die Gedanken Kants fort und ergänzt die Grundlagen durch konkrete Vorschläge, etwa die Einrichtung von Institutionen wie einem Weltschiedsgericht und einem Weltstrafrecht.

Ein Weltparlament sollte seiner Ansicht nach aus zwei Kammern bestehen, einem "Welttag" aller Bürger und einem "Weltrat" aller Staaten.Nicht wenige dieser Gedanken sind im Ansatz schon in der heutigen Welt vorhanden. Ein häufig genanntes Beispiel sind die Vereinten Nationen. Sie können jedoch nicht, so Höffe, als rudimentäre Weltrepublik betrachtet werden.

"Die Organisation bedarf einer grundlegenden Reform. Insbesondere der Sicherheitsrat besteht bisher aus fünf privilegierten Mitgliedern, die sich eine Kollektivhegemonie anmaßen", meint der Philosoph.Den Vorwurf, einem lebensfernen Ideal anzuhängen, entkräftet Höffe, indem er die verschiedenen Entwicklungsstufen aufzeigt, die die Menschheit auf dem Weg zu einer Weltdemokratie nehmen könnte.

Er plädiert für eine "kontinentale Zwischenstufe". Nach dem Muster der Europäischen Union ließen sich auf diese Weise viele Probleme "im eigenen Haus" lösen, so dass der Weltrepublik nur wenige Restaufgaben bliebenLetztlich erfülle sich aber "erst im Gedanken einer Weltrepublik ein moralisches Gebot, das die Menschen einander schulden.

Die Herrschaft von Recht, Gerechtigkeit und Demokratie auch auf globaler Ebene, die subsidiäre und föderale Weltrepublik, ist die Messlatte, an der sich die künftige Weltordnung messen lassen muss".

Zudem könnten die möglichen Alternativen zu einer Weltrepublik kaum den angesprochenen Problemen gerecht werden. So habe sich etwa die strategische Weltordnung, die allein durch den Überlebenswillen und die Vorteilssuche der einzelnen Staaten bestimmt ist, selbst überholt.Auch das Regieren ohne Staat, der sogenannte Neue Institutionalismus, könne globale Probleme nicht zufriedenstellend lösen.

"Erstens leidet er unter einem Leistungsdefizit. Denn weder das Minimum einer Weltordnung, der zwischenstaatliche Friede, ist gesichert, noch das Minimum an Gerechtigkeit, die Unparteilichkeit.Außerdem fehlt eine Weltkartellbehörde zur Durchsetzung sozialer und ökologischer Mindestkriterien.
Zweitens besteht ein Legitimationsdefizit, da die wenigsten der einschlägigen Institutionen unseren Ansprüchen von Demokratie genügen", sagt Höffe.

Eine andere Alternative, die Demokratisierung der gesamten Staatenwelt, leiste zwar einen gewichtigen Beitrag zu einer friedlicheren Weltordnung; sie allein sichere aber nicht eine demokratische Koexistenz der Demokratien untereinander, so dass sie die globale Rechtsordnung nicht ersetzen könne.Höffe fordert keineswegs einen allmächtigen Globalstaat, sondern eine staatlich gestufte demokratische und rechtsstaatliche Ordnung. Innovationskräfte, die jedem Wettbewerb innewohnen, seien auch in einer Weltrepublik enthalten.

Die Konkurrenz der Sprachen und Religionen, der Wirtschaftsräume und -formen, letztlich auch der Bildungswesen bliebe weiterhin erhalten. Die Weltdemokratie setze einzig den rechtsmoralischen Rahmen, auf den die Menschen gegeneinander Anspruch haben und der dafür sorge, dass der Freiraum des Wettbewerbs die Selbstlosigkeit und Friedensbereitschaft der Menschen nicht überfordert.

Quelle: Prof. Otfried Höffe http://www.uni-tuebingen.de/uni/qvo/pd/pd46.html Philosophisches Seminar, Forschungsstelle Politische PhilosophieTübingen, 10. Januar 2000Otfried Höffe: Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, C. H. Beck Verlag, München 1999, ISBN 3 406 45424 0.

Diskussion >>
http://www.inidia.de/weltrepublik-aller-nationen.htm